Herr Viktora, haben Sie Babak Rafati persönlich kennengelernt?
Viktora: Ja, wir sind uns in Koblenz begegnet, wo er ein Zweitligaspiel leitete und ich an der Außenlinie stand. Ich habe ihn als standfesten und netten Kollegen erlebt. Daher hat mich sein Schicksal persönlich sehr betroffen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich erfahren habe, dass er den Selbstmordversuch überlebt hat.
Haben Sie während ihrer Laufbahn als Schiedsrichter ebenfalls einen auf Ihren Schultern lastenden Druck empfunden?
Viktora: Als Assistenten an der Linie sind wir in der Zweiten Bundesliga nicht ganz so im Focus der Berichterstattung gestanden. Bei meinen Leitungen in den unteren Klassen (Hessenliga und Regionalliga; Anmerkung der Redaktion) hat es zu meiner Aktivenzeit keine Attacken gegeben. Ich habe mich nie bedroht gefühlt. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Druck heute höher ist, weil überall in den Stadien Kameras stehen – und alles in Zeitlupe und Superzeitlupe über den Bildschirm flimmert.
Haben Sie Anfeindungen erlebt?
Viktora: Das kann man nicht unbedingt Anfeindungen nennen, wenn einem in engen Stadien ein Becher Bier über den Rücken geschüttet wird und man sich in der Halbzeit umziehen muss. Eher spaßig für uns war der oft in der Runde zu hörende Spruch zu nehmen: Schiedsrichter, wir wissen, wo dein Auto steht.
Sie haben sich aber Gedanken gemacht, wann Sie bei Übergriffen den Schiedsrichter-Job aufgeben?
Viktora: Ja, das geht einem schon durch den Kopf. Schluss mit lustig wäre für mich gewesen, wenn die Familie tangiert wird.
Sie wissen: Auch der Mann mit der Pfeife ist nicht fehlerfrei. Können Sie sich an ein solches Spiel erinnern?
Viktora: Ja, ich habe da eine Katastrophenszene gehabt. In der Partie „Eintracht“ Trier gegen Union Berlin ist mir an der Außenlinie ein kapitaler Schnitzer passiert. Ich signalisierte dem Schiedsrichter ein Abseitstor, weil ich einen hinter dem Torpfosten stehenden Verteidiger nicht gesehen habe. Der hat das Abseits aufgehoben.
… und dann?
Viktora: Das Tor blieb aberkannt; ich hatte mit der Geschichte lange zu kämpfen. Denn eine Fehlentscheidung ist nicht spaßig. Wir gehen selbstkritisch mit einem solchen Fauxpas um. Ich konnte anschließend aber eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben.
Heute sind Sie Verbandslehrwart und wollen junge Kollegen an die Schiedsrichter-Aufgabe heranführen. Angesichts der zunehmenden Eskalationen auf den Sportplätzen fragen Sie sich sicherlich auch: Wird den Spielleitern noch genügend Respekt entgegengebracht?
Viktora: Daran kann man nach einigen unschönen Ereignissen wahrlich zweifeln. Wir haben in den letzten Monaten einige Übergriffe erlebt; vor allem in den Räumen Gießen und Wiesbaden. Wir können nicht akzeptieren, dass die körperliche Gewalt zunimmt und Schiedsrichter von Spielern, denen die Rote Karte gezeigt wird, geschlagen werden, oder ein 14-Jähriger, der eine E-Jugend-Partie leitet, ständig von Eltern der jungen Kicker oder von Betreuern angefeindet wird. Im heimischen Bereich haben wir bisher Glück gehabt. Der Kreis Dillenburg ist ein geschützter Raum. Das kommt vermutlich daher, weil wir guten Kontakt untereinander haben – Fußballer, Schiedsrichter und auch Zuschauer.
Quelle: Herborner Echo/Dill-Zeitung/Haigerer Kurier, 22. Dezember 2011