Herr Meyer, was darf ein Bundesligaspieler sich als Beschimpfung gegen einen Schiedsrichter leisten? Ist ein „Ist doch Scheiße, was Sie da pfeifen“ erlaubt?
Nein, natürlich ist das nicht erlaubt. Selbst, wenn ich das persönlich nicht so ernst nehmen würde. Und wenn ein Spieler für jeden sichtbar wild gestikulierend mit Schaum vorm Mund auf mich zukommt, sind die Worte schon fast egal. Dann bin ich gewzungen, mit einer Verwarnung zu reagieren. Wenn aber ein Spieler im Vorbeigehen mal meckert, kann ich ihm auch antworten, so sei ein Umgang hier nicht möglich. Es ist ja auch meine Aufgabe, nicht zu schroff zu reagieren, sondern die Spieler zu ent-emotionalisieren.

„Mensch Meyer, Sie haben total den Überblick verloren?“
Auch das würde ich nicht so ernst nehmen. Aber von den Regeln her ist das nicht erlaubt. Ich antworte dann aber oft, er solle sich auf sein Spiel konzentrieren.

Früher, sagt Udo Lattek, sei das Verhältnis auf dem Platz von Seiten der Schiedsrichter freundschaftlicher gewesen. Hat der Altmeister Recht?
Glauben Sie mir: Es findet auf dem Platz zwischen Spielern und Schiedsrichtern viel, viel mehr Kommunikation statt, als oben auf den Rängen wahrgenommen wird. Das ist für mich auch das Faszinierende: Dass ich als Schiedsrichter 90 Minuten lang 22 unterschiedliche Charaktere zu führen habe. Hinterher fühle ich mich dann übrigens mental viel ausgelaugter als physisch.

Sie sind seit 1999 Bundesligaschiedsrichter. Hat sich in diesen zehn Jahren etwas verändert im Umgang?
Das Verhältnis zwischen Spielern und Schiedsrichtern hat sich nicht verschlechtert. Aber das der Spieler untereinander ist in vielen Fällen respektloser geworden.

Womit erklären Sie sich das?
Das kann zum Beispiel daran liegen, dass die Spieler den wirtschaftlichen Druck, der von den Verantwortlichen an Sie weitergegeben wird, deutlicher spüren. Stichwort: Erfolg um jeden Preis.

Sind die Medien aggressiver geworden? „Bild“ titelte über einen englischen Unparteiischen: „Der blindeste Schiri der Welt“.
Deart despektierliche Polemik wird selbst bei auffälligen Fehlern eines Schiedsrichters meinem Anspruch als Sportler nicht gerecht. Die Leistung eines Schiedsrichters wird bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit viel zu sehr an Einzelentscheidungen gemessen.

Schiedsrichterboss Volker Roth findet, die Bundesligaschiedsrichter würden im Fachblatt „Kicker“ nicht gerecht beurteilt. Ein Beispiel: Vor wenigen Wochen gab es in neun Spielen zwei glatte Fünfer und dreimal eine 4,5.
Wir Schiedsrichter nehmen das wahr, aber wir gewichten die Beurteilung durch den Schiedsrichter-Beobachter höher.

Der Wolfsburger Trainer Felix Magath steht mit seiner Kritik, in der Bundesliga würde zu kleinlich gepfiffen, nicht allein. Hat er Recht?
Für mich als Schiedsrichter ist es doch viel angenehmer, ein Spiel großzügig zu leiten und laufen zu lassen. Ich schaue aber ganz genau hin: Bemühen sich die Spieler eher um den Ball oder in erster Linie um den Gegenspieler? Denn ich muss auch sehr genau darauf achten, ein Spiel nicht zu sehr laufen zu lassen, um zu verhindern, dass es am Ende womöglich eskaliert.

Ganz ehrlich, Herr Meyer, Magath hat doch Recht. In der Champions League wird ein heftiger Rempler anders bewertet als in der Bundesliga. International heißt es viel häufiger: Rempeln erlaubt.
Für die Spieler ist ein Champions League- oder Länderspiel eine Art Festtag. Mein Eindruck ist: Dieselben Spieler begegnen sich bei internationalen Spielen respektvoller als in der nationalen Liga.

Haben Sie grundsätzliche Entwicklungen festgestellt, die Ihnen Sorgen bereiten?
In letzter Zeit passiert es vermehrt, dass drei oder vier Spieler gemeinsam in sehr aggressiver Form auf den Schiedsrichter zustürmen. Da werden wir künftig rigoroser gegen vorgehen. Denn dieses aggressive Verhalten schürt weitere Aggressionen.

Was halten Sie von weiteren Hilfsmitteln für Abseits- oder Strafstoßentscheidungen?
Nichts. Ein Signal, das ich im Hintergrund des Spielgeschehens erhalte, wenn ein Ball die Torlinie in vollem Durchmesser überschritten hat, wäre wünschenswert. Alle Hilfsmittel, die eine Spielunterbrechung nach sich ziehen, wären nicht mehr als die Verlagerung einer menschlichen Entscheidung auf dem Platz an einen oder mehrere andere Menschen vor den Bildschirmen.

Quelle: Frankfurter Rundschau.